Aktuell wird wieder viel diskutiert, ob das Wahlalter auf 16 Jahre abgesenkt werden sollte. Ich finde: Ja, das kann man schon tun. Aber dann muss auch die Volljährigkeit entsprechend abgesenkt werden. Das ist nur logisch und konsequent.
Die Entkoppelung von Wahlberechtigung und Volljährigkeit ist schlicht unlogisch. Bürgerrechte wie das Wahlrecht sollten an die Bürgerpflichten gebunden sein, die zur Volljährigkeit gehören. Der Zusammenhang zwischen Wahlalter und Volljährigkeit konkretisiert sich in der Frage, warum jemand über die Geschicke der Gesellschaft mitentscheiden soll, den diese Gesellschaft - zumindest gesetzlich - noch nicht für reif genug hält, seine eigenen Lebensverhältnisse zu regeln, alleine Auto zu fahren oder gar zu rauchen oder Cocktails zu trinken.
Ich finde die Forderung auch nicht zu Ende gedacht, denn eine theoretisch eigenständige Vertretung der Interessen wäre nur dann ernsthaft möglich, wenn minderjährige Jugendliche nicht nur wählen dürften, sondern auch wählbar wären. Eine Forderung nach der Senkung des passiven Wahlalters wird aber nicht erhoben. Dies wäre auch ohne Veränderung der Volljährigkeitsgrenze gar nicht möglich, da die Vorschriften des Jugendschutzes sowie die Rechte der Erziehungsberechtigten die grundgesetzlich garantierte Freiheit des Mandats unzulässig einschränken würden.
Aber mal ganz grundsätzlich: Welche Maßstäbe legen wir überhaupt an, um ein Wahlalter zu bestimmen. Im Lebenslauf von Jugendlichen gibt es zwei Punkte, die entscheidend sein könnten. Das ist einmal der 18. Geburtstag, die Volljährigkeit. An diesem Tag übertragen BGB und Strafrecht jungen Menschen die volle Verantwortung für ihr Handeln. Sie haben alle Rechte und Pflichten eines Erwachsenen, sind für ihr Handeln selbst verantwortlich. Alle rechtlichen Beschränkungen, die für Minderjährige gegolten haben, entfallen. Die Eltern sind nicht mehr die gesetzlichen Vertreter, ihre Personen- und Vermögenssorge endet. Der zweite entscheidende Punkt ist der 14. Geburtstag. Hier gibt es einen ersten wichtigen rechtlichen Einschnitt. Es beginnt die Strafmündigkeit. Mit dem Recht zu wählen hat sie allerdings wenig zu tun. Warum also diese offenbar willkürlich angelegte Altersgrenze 16? Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies logischer wäre als 14, 15 oder 17. Auch entwickeln Jugendliche sich unterschiedlich, so dass ein Versuch, den Reifegrad als Grund heranzuziehen, scheitern muss.
Eine wichtige Frage ist: Ist die Senkung des Wahlalters ein Hebel, um das politische Interesse junger Menschen zu steigern? Dahinter steht eine These, die für mich sehr schlüssig klingt: Wer mitmachen darf, interessiert sich auch stärker. Bei mir zumindest war es ein bisschen so. Ich war mächtig aufgeregt vor meiner ersten Wahl (bei uns zu Hause zog man sich für den Ganz zum Wahllokal noch "schick" an). Kurz bevor ich mitwählen durfte, ist mein Interesse an Politik und an Nachrichten nochmal richtig stark gestiegen. Statistisch ist das, was ich persönlich da empfunden habe, allerdings eher nicht nachzuweisen. Ein Beispiel: In Sachsen-Anhalt, das 1999 das Wahlalter absenkte, lässt sich sogar in einem Zeitraum von über zehn Jahren keine Zunahme der Stimmabgabe von Jugendlichen unter 18 Jahren feststellen. Die Partizipation der unter 18-Jährigen lag zudem durchweg unter der durchschnittlichen Wahlbeteiligung. Wahlstatistiken bei fast allen Wahlen zeigen, dass die Gruppe der 18-25-jährigen regelmäßig die niedrigste Wahlbeteiligung aller Altersgruppen aufweist – unabhängig davon, ob sie bei den vorhergehenden Wahlen bereits mit 16 Jahren wählen durften oder nicht. Nach meinen Recherchen gibt es keine Indikatoren dafür, dass das Wahlrecht ab 16 eine unmittelbare oder (was noch wichtiger wäre) nachhaltige Auswirkung auf politisches Interesse oder die Bereitschaft zur Teilnahme an Wahlen hätte.
Mehr noch: Jugendliche lehnen bei fast allen bisher vorliegenden Umfragen eine Absenkung des Wahlalters mehrheitlich ab (z.B. Shell-Jugendstudie 2006, Forsa-Umfrage Berlin Sommer 2010, Studie „Jugend in Brandenburg 2010, Befragung an Hamburger Schulen 2013, Umfrage in Mecklenburg Vorpommern 2014). Ich habe eine Ausnahme gefunden: Die Studie „Wählen mit 16“ der Bertelsmann-Stiftung in 2015, die auch oft zitiert wird. Sie behauptet „etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent) der 16- und 17-jährigen befürworten das Wählen ab 16“. Im Kleingedruckten findet sich dann der Hinweis, dass überhaupt nur 21 Jugendliche dieser Altersgruppe befragt wurden, von denen sich 11 für eine Absenkung des Wahlalters aussprachen. Das ist null aussagekräftig.
Ich denke, dass die Forderung nach der Senkung des Wahlalters purer Aktionismus ist, der an der Begeisterung junger Menschen für die Politik kaum etwas ändern kann. Viel wichtiger ist, dass wir Politik machen, die bei den jungen Leuten ankommt und sie so begeistern, mitzumachen. Weil sie dann sehen, dass es ihnen auch etwas bringt. Und Politiker müssen sich an die eigene Nase fassen. Sie dürfen Politik nicht nur im hinteren Teil der Tageszeitung vermitteln, sondern noch stärker bei Youtube, TikTok oder im persönlichen Gespräch. Wenn Politik, Politiker und auch die Mehrheitsgesellschaft an den jungen Menschen vorbei existieren, wird eine Senkung des Wahlalters dies nicht auffangen können.